Asylpolitik : Herberge zu

Kommentar SZ 22 Dezember 2023

( Mit dem Luxemburger Anti – Bettler Akt macht 4)

Kurz vor Heiligabend kommen aus Europa gleich drei Botschaften an die Flüchtlinge aus aller Welt. Mit Weihnachten haben sie wenig zu tun, dafür aber viel mit den Zwängen, in denen Politik nun mal steckt.

Ozan Kose/AFP
Soll man sie reinlassen? Flüchtlingskinder, die auf dem Marktplatz von Edirne in der Türkei ausharren.

Es ist natürlich eine bizarre Ironie. Ausgerechnet vier Tage vor Heiligabend hat Europa die Botschaft ausgesendet, dass es seine Herbergen künftig geschlossen halten will. Gleich dreifach wurde die Botschaft versandt. Erstens durch die EU: Sie verkündete eine Art Konzept, wie sie Migranten künftig vor der Tür halten will. Zweitens durch Frankreich, wo die Nationalversammlung ein Gesetz beschloss, das den bereits im Land Lebenden die Existenz schwer machen will. Und drittens durch Deutschland, wo die Koalition unter anderem hofft, künftig Menschen leichter loszuwerden, die man nicht mehr haben will. “Macht zu die Tür, die Tor macht dicht”; die Umdichtung eines alten Adventsliedes böte sich an.

Warum diese Hartherzigkeit? Bezogen auf die EU und auf Deutschland lautet die Antwort: weil es für Politiker und Politikerinnen manchmal Situationen gibt, in denen sie keine andere Wahl haben. Abwägung ist ihr Beruf, und manchmal lautet die Alternative, sich falsch oder anders falsch zu entscheiden. Die Asyl-Artikel in den Verfassungen der europäischen Demokratien waren dafür gedacht, einer irgendwie überschaubaren Zahl von Menschen eine sichere Herberge zu versprechen – Menschen, die wegen ihrer politischen Überzeugung, ihres Glaubens oder ihrer sexuellen Orientierung vor einem Tyrannen fliehen müssen. Wenn in den Nachrichten so oft von “Schutzsuchenden” die Rede ist: Diese Art von Schutz war gemeint; aber nicht, allen Menschen Obdach zu gewähren, die in der Heimat außer Armut keine Perspektive haben. Es hilft Afrika und den Afrikanern überhaupt nichts, jeden hier aufzunehmen, der kommen will – und dies womöglich so lange, bis sämtliche sogenannten “Fluchtursachen” beseitigt sind (also im 28. Jahrhundert oder so). Wer derlei verlangt, nimmt sich selbst auf den Arm. Es gilt Joachim Gaucks Satz von 2015: “Unser Herz ist weit, doch unsere Möglichkeiten sind endlich.”

Die praktischen und die kulturellen Probleme

Mit letzteren sind weniger ökonomische Endlichkeiten gemeint. Angesichts der Ungleichheit in der Welt wäre ja die Befürchtung, ein Land wie Deutschland könnte mit der Alimentierung von Flüchtlingen finanziell überfordert sein, geradezu obszön. Denn egal, wie viele Milliarden Euro es aufwenden würde: Auf den Lebensstandard von Eritrea oder Guinea würde hier gewiss niemand zurückfallen.

Die Endlichkeit ist praktischer und kultureller Art. In den Tagen nach seiner Ankunft ist jeder Flüchtling froh, es ans Ziel, das geografische, geschafft zu haben. Doch diese Freude ist vorübergehend. Es gibt die Wohnungen nicht, es gibt die Deutschlehrerinnen nicht, sie können auch nicht geordert werden wie eine Packung Nudeln. Und es gibt in vielen Völkern der Welt Aufnahmebereitschaft, aber in jedem Volk auch Grenzen der Aufnahmebereitschaft. Wenn Menschen empfinden, es kommen zu viele in zu kurzer Zeit und sie sich in ihrem eigenen Land nicht mehr auskennen, hat ihr Bauch eine Entscheidung gefällt, von der sie ihr Kopf nicht mehr abbringen wird. Gesellschaften haben zwar erstens die Pflicht zur Barmherzigkeit (jedenfalls wenn sie ihre christliche Tradition ernst nehmen). Sie stehen aber zweitens auch immer vor der Aufgabe, an den eigenen Zusammenhalt zu denken.

Wer dies berücksichtigt, befindet sich nicht auf dem Schleichweg zu Populisten; im Gegenteil. Die Menschen, die nach dem Zweiten Weltkrieg in den Demokratien des Westens geboren wurden, haben in der Lotterie des Lebens unverdientes Glück gehabt; bei denen, die in vielen anderen Regionen zur Welt kamen, war es ebenso unverdientes Pech. Dass heute viel mehr Menschen einen “Schutz” beanspruchen, den die Europäer so nicht gemeint haben, hat letztlich mit dem Lebensstil hier zu tun.

Auf der Klimakonferenz in Dubai berichtete neulich ein Mann aus Guinea, wie wegen der Erderhitzung in seinem Land die Felder der Reisbauern versalzen – dass also die Lebensgrundlage wegbricht. Soll man sich dann wundern, wenn die Menschen ihr Heil in Europa suchen? Anders gesagt: Schon indem Populisten, gleich in welchem Land, stets die Klimakrise leugnen, plädieren sie in Wahrheit für Kontrollverlust bei der Migration.

Hier mal ein kurzer CO₂-Vergleich mit Guinea

Vier Tage vor Heiligabend hat Europa Botschaften ausgesandt, wie es gehen könnte – und wie nicht. Die Botschaft aus Paris ist entsetzlich. Das Land schafft Einwohner erster und zweiter Klasse; damit wird es seine Probleme, etwa in den Vorstädten, nicht lösen, sondern verschärfen. Deutschland macht immerhin klar, dass es nicht nur die illegale Migration bekämpfen, sondern auch die legale erleichtern will. Die EU unternimmt einen Versuch, das Problem zu managen.

Dass man es lösen könnte, sollte sowieso niemand erwarten, schon aus einem Grund nicht: Die Deutschen stoßen pro Jahr und Kopf knapp acht Tonnen CO₂ aus. Theoretisch könnten sie zwar aufs Niveau von Guinea herabgehen: 0,2 Tonnen. Aber dermaßen weihnachtlich wird hier niemand drauf sein.