Das stille Ende einer guten Idee

Mit der Initiative „Mateneen“ wollte die „Oeuvre Nationale de Secours Grande-Duchesse Charlotte“ Flüchtlingen bei der Integration helfen. Doch nicht jedes Projekt hielt ansatzweise, was es versprach. Über mangelnde Kontrolle und Fehlinvestitionen in Millionenhöhe.

michèle zahlen, reporter 28.11.2019

Am 30. September 2016 war die Freude in der Philharmonie groß. Die „Oeuvre Nationale de Secours Grande-Duchesse Charlotte“ stellte die Initiative „Mateneen“ mit ihren 80 Projekten vor. Das Ziel: Flüchtlinge und Zivilgesellschaft zusammenbringen, Arbeitsplätze schaffen und den Migranten so die Integration vereinfachen.

Für die Initiative „Mateneen“ wurden insgesamt 12,4 Millionen Euro an Spendengeldern zur Verfügung gestellt. Das Geld kam wie für alle Hilfsaktionen der Oeuvre von der „Loterie Nationale“. Die Vergabe der Gelder sollte vergleichsweise schnell und unbürokratisch ermöglicht werden, so der Plan.

Heute, drei Jahre später, ist die Euphorie jedoch verflogen. Nicht alle Projekte waren am Ende erfolgreich. Vor allem in einem Fall mangelte es laut Recherchen von REPORTER offenbar an der nötigen Kontrolle.

Ein Problemkind namens CESMI

Die höchste Summe hatte die Oeuvre dem „Centre Ethno-psychiatrique de Soins pour Migrants et exilés“ – kurz CESMI – zugesprochen. In diesem Zentrum sollten Ärzte, Psychologen, Sozialarbeiter und interkulturelle Vermittler sich um traumatisierte Flüchtlinge kümmern. Das Projekt war der Initiative „Mateneen“ 2,3 Millionen Euro Wert. Also fast ein Fünftel der Gesamtsumme der 12,4 Millionen.

Am Abend, als die Projekte offiziell vorgestellt wurden, sagte der Initiator von CESMI, Dr. Jean-François Vervier vor Publikum: „Nous espérons de devenir un hopital de référence de la santé mentale des migrants (…).“ Doch so weit kam es nie. Denn das Projekt funktionierte nicht so, wie es angekündigt worden war.

Der Projektleitung habe es an Zielorientierung und schneller Umsetzung gefehlt, sagt Nicolas Hirsch von der Oeuvre. „Man hätte das Projekt pragmatischer angehen können. So war es zu theoretisch“, resümiert er es. Kurz: eine Fehlinvestition.

Das Projekt war intransparent, niemand weiß, was damit genau passiert ist.“Serge Kollwelter, Mitgründer der ASTI

„Mateneen“ stoppte das CESMI-Projekt nach einem Jahr, doch eine Million Euro war bereits ausgezahlt und somit weg. Dass es verlorenes Geld ist, will Nicolas Hirsch von der Oeuvre aber nicht sagen. Die Initiative sei sinnvoll gewesen und habe immerhin etwa 100 Menschen helfen können. „Dass bei so vielen Projekten mal zwei bis drei dabei sind, die nicht so laufen wie anfangs gedacht, ist zwar schade, aber auch absehbar.“ Außerdem könnte die Oeuvre bei den „Mateneen“-Projekten jederzeit eingreifen, falls das Geld nicht richtig angelegt würde. In diesem Fall kam das Eingreifen aber zu spät.

Ein Vertrauensvorschuss ohne Garantie

Dass dabei gerade das größte Projekt mit dem meisten Geld schief geht, ist für manche Insider fragwürdig. Eine mit den Interna vertraute Person sagt im Gespräch mit REPORTER, dass es Anzeichen gegeben habe, wonach das Geld nicht richtig eingesetzt worden sei. Serge Kollwelter, der selbst in der Flüchtlingshilfe engagiert ist, sagt seinerseits: „Bei diesem Fall stehen noch eine ganze Reihe an Fragen im Raum. Das Projekt war intransparent, niemand weiß, was damit genau passiert ist.“

„Das Projekt hatte einen Vertrauensvorschuss, weil bei CESMI Professionelle mit anerkanntem Renommee beteiligt waren“, erklärt sich Nicolas Hirsch. „Wir haben Gehälter gezahlt, die zur Betreuung von traumatisierten Flüchtlingen gedient haben.“ Das Projekt hat allerdings nicht so funktioniert wie angekündigt. Es habe bereits früh Warnungen und Gespräche mit den Verantwortlichen gegeben. Geholfen hat es aber nichts.

Dass bei so vielen Projekten mal zwei bis drei dabei sind, die nicht so laufen wie anfangs gedacht, ist zwar schade, aber auch absehbar.“
Nicolas Hirsch, Koordinator „Oeuvre Grande-Duchesse Charlotte“

Auf das Projekt angesprochen, will der zuständige Arzt, Jean-François Vervier, keine Stellungnahme abgeben. Nur so viel teilt er schriftlich mit: Das Projekt existiere nicht mehr, weil die Oeuvre es vorzeitig gestoppt habe und nicht mehr finanzieren wolle.

Nach dem Anschub alleine überleben

Der Fall des CESMI war sicherlich eine Ausnahme. Nicht nur, weil das Projekt am Ende nicht funktionierte, sondern auch wegen der hohen Summe an Spendengeldern. Die meisten der 80 Projekte sind jedoch durchaus vorzeigbar. So etwa die „Sportunity Asbl“, die Menschen durch Sport integrieren will oder auch noch der Podcast „Salam“, der bis heute bei „Radio Ara“ läuft.

Die gesamte Initiative „Mateneen“ ist vergangenes Jahr ausgelaufen. Die Webseite ist offline, die Spendengelder sind komplett ausbezahlt – und alle Projekte, die bis dahin auf eine finanzielle Hilfe zurückgreifen konnten, sind heute auf sich allein gestellt.

Projekte, die in unseren Augen wertvoll sind, werden auch weiterhin unterstützt.“Pierre Bley, Präsident der „Oeuvre Grande-Duchesse Charlotte“

Von Anfang an war klar, dass die Initiative die Projekte nur für einen gewissen Zeitraum unterstützen kann. Will heißen: 80 Integrationsprojekte sind 2016 in den Genuss einer punktuellen Finanzspritze gekommen. Die Beteiligten müssen sich nun selbst darum kümmern und Ministerien oder Verwaltungen kontaktieren, um weiter Subventionen zu erhalten. Dabei hängen von den Projekten auch Arbeitsplätze und Existenzen ab. Wer sein Projekt nicht weiterführen kann, muss unter Umständen ein zweites Mal bei Null anfangen.

„Die Initiative war eine schnelle Antwort auf eine dringende Notwendigkeit. Es war den Projektleitern klar, dass unsere Unterstützung sich auf die ausgelegte Dauer der Projekte beschränken würde. Projekte, die in unseren Augen wertvoll sind, werden auch weiterhin unterstützt“, sagt Pierre Bley, Präsident der Oeuvre im Gespräch mit REPORTER. Die Finanzhilfe sei also von Anfang an als Anschubfinanzierung gedacht gewesen.

Auch ein Vorzeigeprojekt muss kämpfen

Wie schwierig es ist, Flüchtlingen eine langfristige Perspektive zu bieten, weiß auch Patrick de la Hamette. Der Luxemburger hat das Projekt „Digital Inclusion“  ins Leben gerufen. Dort reparieren Freiwillige, darunter Flüchtlinge und Arbeitslose, gespendete Computer und bieten Computerkurse an. Ziel der Vereinigung ist es, die digitale Welt für jeden zugänglich zu machen – unabhängig davon, wie viel Geld jemand zur Verfügung hat.

„Digital Inclusion“ hat im Jahr 2016 122.052 Euro von „Mateneen“ erhalten und zwei weitere Male 184.000 Euro. Die Förderung dauerte insgesamt drei Jahre und ist diesen Sommer ausgelaufen. Obwohl das Projekt bis heute ein Erfolg ist und Preise erhalten hat, ist seine Zukunft ungewiss.

Die Verantwortlichen hatten gar nicht die Möglichkeit, die Projekte richtig zu kontrollieren.“Ein Insider der Flüchtlingsinitiative „Mateneen“

Seit 2018 werden die zusätzlichen Aktivitäten von „Digital Inclusion“, wie die Digital Skills-Kurse, durch das Arbeitsministerium und den europäischen Sozialfonds finanziert. Die nächsten zwei Jahre dieser Aktivitäten und die dazu gehörenden Arbeitsplätze sind somit gesichert.*

Kurzfristig wurde zudem Hilfe vom Familienministerium von September bis Dezember dieses Jahres zugesagt. Das Ministerium übernahm den Anteil, den die Oeuvre bis dahin spendete.

Wie es aber danach weitergeht? „Das steht noch nicht fest. Wir suchen ab 2020 weiterhin Finanzierungspartner für unsere Kernaktivität, das Wiederherstellen von Computern und Smartphones“, so Patrick de la Hamette. „Im schlimmsten Fall müssen wir Arbeitsplätze abbauen“. Er ist dennoch optimistisch – es würden auch Gespräche mit anderen Ministerien laufen, sagt er.

Transparenz ist noch keine Kontrolle

Liegt das Problem aber vielleicht schon im Ansatz? „Die Verantwortlichen hatten gar nicht die Möglichkeit, die Projekte richtig zu kontrollieren. Vielleicht wäre es besser gewesen, wenn sich die Projekte langsam und organisch entwickelt hätten“, sagt ein Insider, der namentlich nicht genannt werden will, über die Funktionsweise von „Mateneen“.

Dabei mussten die Verantwortlichen jedes Projektes jährlich einen detaillierten Bericht und Rechnungsbelege bei der Oeuvre einreichen. „Wir wollten nicht aus dem Elfenbeinturm heraus entscheiden, sondern haben uns erstmals auch herausgenommen, nachzuforschen, ob das Geld dort ankommt, wo es soll“, sagt Pierre Bley.

Der Verwaltungsrat der Oeuvre tagte in regelmäßigen Abständen. Was aber bei den Vereinen passierte, haben sich die Verantwortlichen nur sporadisch angeschaut. Pierre Bley sagt seinerseits: „Wir kontrollieren die Projekte während der mehrjährigen Laufzeit auf Basis von jährlichen Zwischenberichten, ansonsten aber nur wenn das Geld schon geflossen ist.“

Auch beruft sich die Oeuvre auf Transparenz. Die Jahresberichte seien alle online einsehbar, alle Projekte seien dort mit den gespendeten Summen aufgelistet. „Wir wollten zeigen, was mit dem Geld passiert“, so Pierre Bley.

Geholfen hat dieser Wille letztlich wenig. Die Million, die bei CESMI verloren ging, hätte auch in überzeugende Projekte fließen können. Auf die Unterstützung von Hilfsprojekten will die Oeuvre aber auch weiterhin nicht verzichten – das sei immerhin ihre Kernkompetenz als öffentliche Einrichtung, so Pierre Bley. Jetzt allerdings nicht mehr unter dem Namen „Mateneen“.

*Korrektur: In einer ersten Version dieses Artikels stand, dass die Zukunft von „Digital Luxembourg“ für die nächsten zwei Jahre gesichert ist. Finanziell abgesichert sind bisher lediglich die Digital-Skill-Kurse. Für die Kernkompetenz der Organisation, suchen die Verantwortlichen weiterhin Finanzierungsmöglichkeiten.