Dünnes Eis

EDITORIAL/ POLITIK & GESELLSCHAFT / DIEGO VELAZQUEZ,

Luxemburger Wort 31.12.2019

Luxemburg hat sich bislang, zumindest an der politischen Oberfläche, einem für die Demokratie gefährlichen Trend entziehen können: dem Erstarken des Rechtspopulismus. Während Marine Le Pen in Frankreich, Matteo Salvini in Italien oder die Alternative für Deutschland (AfD) wiederholt über Erfolge bei Wahlen jubeln, dümpelt die ADR im Großherzogtum vor sich hin. Und die Versuchung ist groß, Luxemburg deshalb als ein weltoffenes Land zu feiern, das immun gegen fremdenfeindliche und populistische Auswüchse ist. Ein Trugschluss …

indlicher Bewegungen im Ausland beiträgt, ist nicht xenophobisches Gedankengut allein, sondern gesellschaftlich weit verbreitete Abstiegsangst. Diese drückt sich zwar von Land zu Land unterschiedlich aus, wird überall aber gekonnt ausgenutzt.

Die Mehrheit der Briten fühlte sich auf dem Arbeitsmarkt von Migranten aus Osteuropa verdrängt, was zum Brexit-Votum führte. US-Präsident Donald Trump nutzt den Frust über die Verlagerung von Produktionsstätten in wettbewerbsfähigere Staaten aus, um gegen den Freihandel zu wettern. In Polen und Ungarn missbrauchen rechtskonservative Politiker die Angst vor fremden Kulturen, um sich als Verteidiger der abendländischen Zivilisation zu profilieren; dass in Polen und Ungarn fast keine Muslime leben, spielt dabei kaum eine Rolle. Gleich ist allem, dass viele Bürger – mithin Wähler – sich vom zunehmenden Menschen-, Waren- und Kapitalstrom, den man Globalisierung nennt, bedroht fühlen.

Diese Abstiegsängste sind vielen im Großherzogtum noch fremd, weil das

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Luxemburger Wort https://digitalpaper.wort.lu/data/95/reader/reader.html?t=1577978…

Luxemburger Modell die meisten Wähler im Land vom Wettbewerb der Globalisierung einfach abschirmt: Staatsbeamte, Gemeindeangestellte und alle weiteren Arbeitnehmer, die rund um den öffentlichen Sektor kreisen, müssen sich nicht vor ausländischer Konkurrenz fürchten und werden obendrein fürstlich entlohnt. Allein die Sprachkenntnisse, die es für diese Jobs braucht, sichern, dass Luxemburger dort den Vorrang haben. Die vermeintlich politische Stabilität des Landes erklärt sich dadurch, dass alle Parteien diesen privilegierten Parallel- Arbeitsmarkt mittragen. Und solange die dort gezahlten, oft stolzen Gehälter einen gewissen Lebensstandard ermöglichen, bleibt das System auch politisch unangetastet. Doch allein der zunehmende Kampf für bezahlbaren Wohnraum könnte dies bald ändern. Wenn sich eines nahen Tages selbst ein Staatsbeamtenpaar kein Einfamilienhaus in Walferdingen mehr leisten kann, funktioniert das Modell nicht einmal mehr für diejenigen, für die es geschaffen wurde.

Spätestens dann wird eine starke Anti-System-Partei Oberwasser bekommen. Und dass die Luxemburger gewillt sein können, gegen den Willen ihrer Eliten die Wahlurnen zum Instrument des Ausschlusses zu nutzen, hat das Referendum zum Ausländerwahlrecht von 2015 bereits gezeigt.

Kontakt: diego.velazquez@wort.lu