Ein Referendum ist nicht für immer
Florian Javel, Luxemburger Wort 7.Juni 2025
Zehn Jahre sind vergangen, seit die Luxemburger Bevölkerung beim Referendum am 7. Juni 2015 das Ausländerwahlrecht bei Parlamentswahlen deutlich abgelehnt hat. Über 160.000 Wahlberechtigte stimmten dagegen – das entsprach damals 78,02 Prozent der abgegebenen Stimmen. Seither ist das Thema zwar nie aus dem politischen Diskurs verschwunden – und trotzdem galt es als Tabu.
Zwar wird regelmäßig auf das bestehende demokratische Defizit hingewiesen, da nahezu die Hälfte der im Großherzogtum lebenden Bevölkerung ein Wahlrecht besitzt. Dennoch hat bislang keine Regierungspartei den Versuch unternommen, die Debatte wieder aufzugreifen oder einen neuen Anlauf für eine Reform zu starten und die Büchse der Pandora zu öffnen.
Wahlgesetz-Reform könnte neues Momentum bieten
Doch siehe da: Im Jahr 2025 nehmen die Chamber-Parteien eine Reform des Wahlgesetzes in Angriff. An vorderster Front setzen sich Grüne, Déi Lénk und LSAP dafür ein, das Thema Ausländerwahlrecht wieder auf die politische Agenda zu bringen. Auch wenn Stimmen aus der zuständigen Chamber-Kommission wenig Hoffnung darauf machen, dass diese Reform ein großer Wurf wird.
Dann ist da noch die ASTI, die mit einer Online-Umfrage einen Wandel der öffentlichen Meinung zu dem Thema feststellt. Laut deren Umfrage sollen über 66 Prozent der Befragten positiv gegenüber dem Wahlrecht stehen. Doch einer ihrer lautesten Kritiker von 2015 ist weiterhin da. Prompt reagierte der ADR-Abgeordnete Fred Keup, der 2015 seinen Weg in die Politik mit der Nein-Bewegung vor dem Referendum geebnet hatte, auf Facebook. Damals hätten die Umfragen schon den Ausgang des Referendums falsch prognostiziert.
Dass die öffentliche Meinung nach einem Referendum kippen kann, ist allerdings nichts Außergewöhnliches. Solche Fälle hat es in Europa in der Vergangenheit bereits gegeben. Könnte in den folgenden Jahren auch Luxemburg folgen?

Eigentlich hatte sich die schwedische Bevölkerung bei einem Volksentscheid 1980 dazu entschieden, schrittweise aus der Atomenergie auszusteigen. Drei Wege, um dieses Ziel zu erreichen, standen zur Abstimmung. 39,1 Prozent entschieden sich zwar dafür, Atomenergie weiter zu nutzen, allerdings unter strengerer Kontrolle und mit dem Ziel eines langfristigen Ausstiegs, ohne verbindliches Datum. Das Jahr 2010 wurde dafür angepeilt. Zudem sollten keine neuen Reaktoren gebaut werden, nur die bereit im Bau befindlichen fertiggestellt werden.
Mit der Zeit vollzog sich in Schweden allerdings ein politischer Wandel. 2010 wurde das Verbot vom Bau neuer Reaktoren im Parlament mit 174 Ja-Stimmen zu 172 Nein-Stimmen gekippt. Atomenergie sollte Schweden dabei helfen, mit emissionsarmen Energiequellen seine Klimaziele leichter zu erreichen und andererseits für die Versorgungssicherheit im Land zu sorgen.
Im Zuge der Energiekrise, die der Krieg in der Ukraine 2022 mit sich gebracht hatte, kündigte 2023 Schwedens konservative Regierung an, sogar bis zu 2045 zehn neue Großreaktoren in Betrieb zu nehmen, um eine Explosion der Energiepreise zu verhindern und Schwedens Energieversorgung autarker zu machen. Von den zwölf 1979 bestehenden Atomkraftwerken sind heute noch sechs in Betrieb. Atomkraft ist in Schweden sogar für 31 Prozent der Stromversorgung verantwortlich.

Irland war 2008 das einzige EU-Mitglied, das seine Bevölkerung über den Vertrag von Lissabon abstimmen ließ – und das Ergebnis brachte die Europäische Union in eine Krise. Am 12. Juni 2008 lehnten 53,4 Prozent der irischen Wähler den Vertrag bei einer Wahlbeteiligung von etwa 53 Prozent ab. Ohne Irlands Zustimmung konnte der Vertrag, der unter anderem dem EU-Parlament mehr Macht und das Mehrheitsprinzip bei Entscheidungen einführen sollte, nicht in Kraft treten.
Beim EU-Gipfel im Dezember 2008 gelang es der Europäischen Union, Irland rechtlich verbindliche Garantien zu geben – etwa zur militärischen Neutralität, zum Abtreibungsrecht und dazu, dass Irland weiterhin einen eigenen EU-Kommissar stellen darf. Auch im Sozial- und Steuerbereich wurden nationale Kompetenzen zugesichert. Im Gegenzug verpflichtete sich die irische Regierung, bis Ende 2009 ein zweites Referendum durchzuführen.
Dieses fand am 2. Oktober 2009 statt – und diesmal stimmten 67,1 Prozent der Wähler dem Vertrag zu. Ein entscheidender Faktor für den Sinneswandel war die Wirtschaftskrise, die Irland schwer traf. Viele sahen in der EU nun einen Garanten für Stabilität, was letztlich zur Zustimmung beitrug.

Der Maastrichter Vertrag war ein Meilenstein der EU. Erst mit dem Dokument wurde die Europäische Gemeinschaft zur Europäischen Union. Damit ging ein gemeinsamer Wirtschafts- und Währungsraum einher als auch die gemeinsame Koordinierung der europäischen Außenpolitik. Das EU-Parlament erlangte zudem mehr Macht und die EU-Bürgerschaft wurde zur Realität.
Als eines von wenigen Ländern ließ Dänemark damals 1992 seine Bevölkerung über das Dokument abstimmen. Die entschied sich zu 50,7 Prozent dagegen. Die Dänen waren noch skeptisch gegenüber der Europäischen Union. Der Vertrag hätte für manche einen Souveränitätsverlust bedeutet oder noch den Verlust der Kontrolle über die eigene Geldpolitik. Um Dänemark doch noch umzustimmen, kam es im Dezember 1992 zum Edinburgh-Abkommen, bei dem das Land Ausnahmeregelungen zugesichert bekommen hat.
Dänemark musste sich somit nicht an der gemeinsamen Währung beteiligen, auch nicht an der Sicherheits- und Verteidigungspolitik oder an der EU-Justizpolitik. Das stimmte die dänische Bevölkerung um. Am 18. Mai 1993 entschied sich die Bevölkerung zu 56,7 Prozent dazu, dem Maastrichter Vertrag doch noch zuzustimmen. Die Wahlbeteiligung lag bei rund 86 Prozent.

Man merkt es: Die Mehrheit der hier aufgezählten Beispiele drehen sich meistens um die Europäische Union. Hier wiederum auch. Im Jahr 2014 lancierte die Schweizerische Volkspartei (SVP) eine Volksinitiative mit dem Titel „Masseneinwanderungsinitiative“. Nachdem das Freizügigkeitsabkommen zwischen der EU und der Schweiz 2002 beschlossen worden war, stieg die Wohnbevölkerung der Schweiz über zehn Jahre um eine Million. Von den konservativen Kräften im Land wurde von einer „unkontrollierten Masseneinwanderung“ geredet.
Das sorgte im Land für erhöhte Mietpreise und soziale Spannungen. Es sollte mit der Initiative also ein Kontingent mit jährlichen Höchstzahlen an Aufenthaltsbewilligungen geben. Das Ja zur Initiative gewann knapp mit 50,3 Prozent der Stimmen. Das führte ebenfalls zu politischen Spannungen mit der EU. Um einen Verfassungsbruch zu umgehen, ohne den Bruch mit der EU in Kauf zu nehmen, wurden Inländervorrang-Regeln eingeführt – allerdings keine Kontingente. Das kritisierte die SVP damals scharf.
Sechs Jahre später wiederholte die SVP 2020 ihr Manöver und ging noch weiter. Sie verlangte eine einseitige Kündigung der Personenfreizügigkeit mit der EU, sollte die Europäische Union diese nicht neu verhandeln wollen. Dieses Mal gab es ein klares Ergebnis: Innerhalb von zehn Jahren ist die öffentliche Meinung vollständig gekippt und 61,7 Prozent der Bevölkerung sagen Nein zu der Volksinitiative, um die Beziehungen zur EU nicht weiter zu gefährden.