Einschränkungen im Namen der Ordnung
VERSAMMLUNGSRECHT „Avant-projet de loi“ legt gesetzliche Pläne der Regierung offen
CSV und DP haben im Koalitionsvertrag beschlossen, Luxemburg ein nationales Versammlungsrecht zu geben. Ein erster Entwurf liegt nun vor, der Interpretationsspielraum für ein sehr restriktives Vorgehen ist gewaltig.
Luxemburg hat keine Gesetzgebung, die große Versammlungen oder Demonstrationen rechtlich umrahmt. Das will die CSV-DP-Regierung mit einem entsprechenden Gesetz ändern. Aus einem „avant-projet de loi“, das dem Tageblatt vorliegt, geht hervor, dass teils sehr starke Einschnitte zu den bisherigen Bestimmungen eingeführt werden. Andere Maßnahmen können wiederum sehr weit interpretiert werden. Ein inhärent disruptives Element bürgerlicher, politischer Beteiligung würde laut dem Entwurf aus dem öffentlichen Raum verbannt und in ein möglichst störfreies Happening umgestaltet werden.
Die Motivation der Regierung für ein Demonstrations-und Versammlungsgesetz geht klar und deutlich aus der Koalitionsvereinbarung zwischen CSV und DP hervor. „Bei den zahlreichen Demonstrationen, die im Zusammenhang mit der Covid-19-bedingten Pandemie stattfanden, wurde deutlich, dass Luxemburg nicht über eine angemessene Gesetzgebung verfügt, um Demonstrationen einen Rahmen zu geben“, schreiben die Koalitionäre auf Seite 112 der Regierungsvereinbarung. „So wird die Regierung einen rechtlichen Rahmen einführen, der für den reibungslosen Ablauf von Versammlungen notwendig ist, indem sie das verfassungsmäßige Recht auf friedliche Versammlungen und Versammlungen unter freiem Himmel garantiert.“
Wie in dem Abschnitt angedeutet, ist ein Versammlungsgesetz nicht zuletzt auch deswegen nötig, weil die neue Luxemburger Verfassung ein solches Gesetz explizit vorsieht. So heißt es in Artikel 25 der neuen Luxemburger Verfassung: „Toute personne a le droit, dans le respect de la loi , à la liberté de réunion pacifique. Ce droit ne peut être soumis à autorisation préalable que pour des rassemblements en plein air dans un lieu accessible au public.“ Bisher aber wurden die Bestimmungen zu Demonstrationen lediglich auf Gemeindeebene geregelt.
„Rassemblement“ vs. „Attroupement“
Problematisch sind bereits die von der Regierung vorgesehenen Definitionen für die verschiedenen Arten an Versammlungen. So wird im Gesetz zwischen „Rassemblements“ und „Attroupements“ unterschieden werden, wobei ein „Attroupement“ lediglich als eine Zusammenkunft definiert wird, die „die öffentliche Ordnung stört“. Was im Umkehrschluss bedeutet, dass jedes „Rassemblement“ im Endeffekt auch ein „Attroupement“ sein kann – zumindest in ein solches „ausarten“ kann. Als Waffe wird bei einer solchen Zusammenkunft jeder Gegenstand oder Substanz angesehen, „die zum Verletzen, Schlagen oder Bedrohen verwendet werden kann.“ Ein Passus, der weitreichenden Interpretationsspielraum zulässt – von einem Messer über Regenschirme hin zum Deodorant in der Sprühdose.
Foto: Editpress/Julien Garroy
Eine Mindestanzahl an Personen, ab der von einem „Rassemblement“ oder „Attroupement“ gesprochen werden kann, gibt es nicht. Das ist besonders bei der enthaltenen Definition von „Attroupement“ problematisch. Ein „Rassemblement“ konstituiert sich durch Personen, die zusammenkommen, um einer kollektiven Meinung oder einem gemeinsamen Willen friedlich Ausdruck zu verleihen. Beim „Attroupement“ entfällt diese Zuschreibung jedoch. Ein „Attroupement“ ist demnach „toute réunion de personnes, préméditée ou spontanée, en plein air dans un lieu accessible au public, qui trouble l’ordre public“.
Das ist aufgrund der anvisierten Strafen für die Teilnahme an einem „Attroupement“ besonders problematisch. Demnach sind derzeit eine Gefängnisstrafe von acht Tagen bis zwei Jahren und eine Geldstrafe von 500 bis 10.000 Euro für Personen vorgesehen, die trotz polizeilicher Ermahnung an dem vage definierten „Attroupement“ teilnehmen. Führt man eine Waffe nach obiger Definition mit sich, kann die Strafe auf bis zu drei Jahre angehoben werden. Verhüllt man sein Gesicht, sodass man nicht mehr identifizierbar ist, drohen ebenfalls bis zu drei Jahre Haft und eine Geldstrafe von bis zu 10.000 Euro.
Polizeiliche Durchsuchungen
Dem Gesetz zufolge könnte der Bürgermeisterin der Stadt Luxemburg, in der ein Großteil der Demonstrationen von nationalem Interesse stattfindet, noch eine höhere Entscheidungsmacht als bisher zufallen. Demnach kann die Bürgermeisterin eine Demonstration gleich aus mehreren Gründen verbieten. Wenn das Risiko einer Störung der öffentlichen Ordnung besteht oder die Sicherheitsmaßnahmen der Organisatoren für nicht ausreichend gehalten werden, kann die Bürgermeisterin diese Demo verbieten. Eine weitere Maßnahme mit weitreichenden Folgen hat jedoch die Bestimmung, dass auch Versammlungen vor einem Wohngebäude untersagt werden können, wenn dadurch „die friedliche Nutzung des Gebäudes“ gestört werden könnte. Demnach könnte unter Bezug auf diesen Paragrafen jede Demo aus dem Stadtbild entfernt werden. Überspitzt ausgedrückt: Demonstriert wird dann künftig nur noch im „Bambësch“.
Wenn eine Störung der öffentlichen Ordnung befürchtet wird, kann der zuständige Minister drei Stunden vor Beginn der Demo bis zu deren Auflösung polizeiliche Durchsuchungen veranlassen. Demnach sollen Polizeibeamte dann nicht nur am Ort der Demo, sondern auch in benachbarten Straßen und an den Zufahrtsstraßen Menschen und Fahrzeuge durchsuchen können – unabhängig davon, ob diese an der Demonstration teilnehmen oder auf dem Weg dorthin sind, oder nicht.