Wie Europas Länder mit Asyl und illegaler Migration umgehen

Länder überfordert

Die EU-Staaten reagieren auf den kaum kontrollierten Zugang von Asylsuchenden sehr unterschiedlich und mit teilweise drastischen Maßnahmen. Eine Übersicht.

Mehr Migranten landen mit einem Boot am Strand bei Dungeness an der Südostküste Englands an. Großbritannien kämpft unterdessen mit einer hohen Zahl an Asylanträgen.
Mehr Migranten landen mit einem Boot am Strand bei Dungeness an der Südostküste Englands an. Großbritannien kämpft unterdessen mit einer hohen Zahl an Asylanträgen. Foto: AFP

Immer mehr Menschen machen sich auf den Weg nach Europa. Nach den Rekordjahren 2015 und 2016 (1,3 Millionen bzw. 1,2 Millionen) und einer zwischenzeitlichen Beruhigung steigen die Migrationszahlen wieder deutlich. Die europäischen Länder innerhalb und außerhalb der EU reagieren auf den kaum kontrollierten Zugang von Asylsuchenden mit teilweisen drastischen Maßnahmen bis hin zu einem vollständigen Paradigmenwechsel. Eine Übersicht ausgewählter Länder von unseren Korrespondenten vor Ort.

Luxemburg: Kapazitätsgrenzen überschritten

Der anhaltend hohe Migrationsdruck an den europäischen Außengrenzen hat auch für Luxemburg Folgen. Im Zeitraum zwischen Januar und Oktober sind im Großherzogtum 2036 Asylanträge gestellt worden. Die Hauptherkunftsländer sind Syrien (31,9 Prozent), Eritrea (15,6 Prozent) und Sudan (5,2 Prozent). Das sind zwar Stand Oktober rund 200 weniger als 2022, jedoch immerhin rund 900 Menschen mehr als 2020.

Jetzt scheinen die Aufnahmekapazitäten in Luxemburg mehr als ausgeschöpft zu sein, denn auch nach Jahren lebt eine nicht unerhebliche Zahl an Menschen, deren Asylstatus anerkannt wurde, in Sammelunterkünften, obwohl sie eigentlich schon längst Anspruch auf eigene Wohnungen hätten. Ein Symptom überstrapazierter Aufnahmekapazitäten waren zuletzt unter der Pont Adolph campierende Migranten. Die Ursachen sind zum überwiegenden Teil struktureller Natur, denn es fehlt bezahlbarer Wohnraum. Abschiebungen finden zwar statt, bewegen sich aber 2023 im mittleren zweistelligen Bereich

In ihrem Koalitionsvertrag reagiert die neue CSV-DP Regierung auf diese Problemstellung. Demnach planen CSV und DP, Gemeinden stärker in die Pflicht nehmen zu wollen, ohne dabei bezüglich der praktischen Umsetzung konkret zu werden. Doch auch hinsichtlich der grundlegenden Asylpolitik könnte sich Luxemburg einem strikteren Kurs zuwenden. Laut Koalitionsvertrag will die Regierung Frieden unter anderem für einen stärkeren Schutz der EU-Außengrenzen werben.

Finanziell gibt es für Asylbewerber zunächst nicht viel zu holen: Sie erhalten eine aide pecunière von 29 Euro im Monat, Aide pour l’Alimentation von 226,7 Euro und die Aide pour l’Hygiène von 45 Euro. Asylberechtigte haben indes Anspruch auf die individuell zu bestimmende Mindestsicherung.

Deutschland: Ein Gefühl von Kontrollverlust

Man kann, was der Präsident des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge Anfang November der Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) geschrieben hat, einen Brandbrief nennen. Auf knapp sechs Seiten legt Hans-Eckard Sommer dar, dass seiner Behörde Geld, Personal und Digitalisierung fehlen. Im Überfluss vorhanden dagegen: Menschen, die um Asyl bitten. Sommer rechnet mit 350.000 Anträgen bis Jahresende – mindestens. Zu viele, warnt er, für ein Bearbeiten der Anträge in angemessener Zeit.

„Vor dem Hintergrund der öffentlichen und politischen Diskussion der letzten Monate ist diese Situation äußerst kritisch“, schreibt der Präsident. Ein Wink mit dem Zaunpfahl. Weil die irreguläre Zuwanderung nicht gestoppt werden kann, weil immer mehr Kommunen über Überforderung klagen, weil abgelehnte Asylbewerber häufiger bleiben als gehen – und weil sich die Ampel-Regierung im Streit um Humanität oder Härte verheddert: Aus all diesen Gründen grassiert in Deutschland ein Gefühl von Kontrollverlust.

Bundeskanzler Olaf Scholz hat nun mehr Abschiebungen versprochen. Ein ungedeckter Scheck – ohne Länder, die ihre Staatsbürger zurücknehmen. Und dann ist da ja noch die EU – die am Ende die Grundregeln macht. Vielleicht. (Cornelie Barthelme, Berlin)

Frankreich: EU-Spitzenreiter bei Abschiebungen

Das Thema Einwanderung ist in Frankreich heikel. Auch wenn es nicht ganz oben auf der Sorgenliste der Französinnen und Franzosen steht, sind fast 90 Prozent der Meinung, dass man darüber nicht in Ruhe diskutieren könne. Drei Viertel der Französinnen und Franzosen vertreten die Ansicht, dass es „zu viel Einwanderung“ in ihrem Land gebe. Der Wert ist innerhalb von fünf Jahren um elf Prozentpunkte gestiegen.

Asylbewerber erhalten eine finanzielle Unterstützung von täglich maximal 14,20 Euro pro Person. Das Geld fließt so lange, bis ihr Asylstatus anerkannt ist. Falls der Asylantrag abgelehnt wird und auch der Einspruch nichts bringt, sind die Asylbewerber verpflichtet, das französische Territorium zu verlassen. Allerdings wurden 2022 laut dem Rechtsausschuss der Nationalversammlung nur knapp sieben Prozent dieser Verpflichtungen, die die sperrige Abkürzung OQTF tragen, auch befolgt. Trotzdem lag Frankreich in der EU bei der Zahl der Rückführungen vorne, da es besonders viele OQTF aussprach. 2021 wurden laut europäischer Statistikbehörden Eurostat 11.630 Rückkehrer registriert. Zum Vergleich: Aus Deutschland waren es nur gut 10.000.

Das britische Asylsystem ist sehr knauserig

Massive Probleme hat die französische Regierung mit den Herkunftsländern Marokko, Tunesien, Algerien, Senegal, Elfenbeinküste und Mali, die sich weigern, den Rückkehrern die dafür nötigen Papiere auszustellen. Präsident Emmanuel Macron beschloss deshalb im Herbst 2021, als eine Art Strafmaßnahme nur noch halb so viele Visa an Bürgerinnen und Bürgern aus Marokko und Algerien zu vergeben. Visa für Tunesier wurden um 30 Prozent reduziert. Im Dezember wurden die Beschränkungen zwar aufgehoben, doch vor allem Marokko ist über die französische Entscheidung nach wie vor verstimmt. (Christine Longin, Paris)

Großbritannien: Die meisten kommen durch

Verfolgt man die Migrationsdebatte in der britischen Boulevardpresse, erhält man den Eindruck, als hätten Asylbewerber in Großbritannien ein richtig schönes Leben. Nichts ist der Realität ferner: Das britische Asylsystem ist sehr knauserig. Wer von den Migrationsbehörden den Bescheid bekommen hat, als Bewerberin oder Bewerber anerkannt zu werden, erhält pro Woche 47.39 Pfund an Unterstützungsleistungen, also etwa 54 Euro. Das muss reichen für Essen, Kleider und Toilettenartikel. Es ist Asylbewerbern verboten, zu arbeiten. Behausung wird zur Verfügung gestellt – wenn auch ein akuter Mangel an Plätzen seit vielen Jahren für Kontroversen sorgt. Die Kommunalverwaltungen, die für die Unterbringung der Asylbeweber zuständig sind, müssen jährlich Millionen Pfund ausgeben, um Hotelzimmer zu mieten.

Ein großes Problem ist der riesige Rückstau an ausstehenden Asylentscheiden: über 170.000 Menschen warten auf ein Urteil der Behörden, manche seit Jahren. Nur ein geringer Teil der Asylbewerber werden abgewiesen: 2022 waren es 24 Prozent – der tiefste Anteil seit 1990. Manche werden in ihre Herkunftsländer abgeschoben, oft via Auffangzentren, in denen laut Menschenrechtsgruppen teilweise prekäre Zustände herrschen. 2022 wurden laut dem Innenministerium 2.866 abgewiesene Asylbewerber zurückgeschafft.

Die irreguläre Migration, insbesondere jene per Boot über den Ärmelkanal, sorgt zwar bei der Tory-Regierung und weiten Teilen der Presse für heiße Gemüter. Aber sie stellt nur etwa einen Fünftel der gesamten Einwanderung dar. Die Meinung der Briten zur Einwanderung insgesamt ist differenzierter als es die Debatte suggeriert: Weniger als ein Drittel hält die Migration für negativ. Im Frühjahr kam eine vergleichende Studie zum Schluss, dass die Briten eine offenere Haltung zur Einwanderung haben als die meisten anderen Länder. (Peter Stäuber, London)

Italien: 2,50 Euro Taschengeld pro Tag

147.235: Das ist die Zahl der Migranten, die seit Anfang Jahr bis am 13. November in Italien angekommen sind – doppelt so viele wie im Vorjahreszeitraum. Bei den meisten von ihnen handelt es sich um Bootsflüchtlinge, die die gefährliche Überfahrt über das Mittelmeer gewählt haben; ein kleinerer Teil kam aber auch über die sogenannte Balkan-Route. 31,50 Euro: Dies ist der Richtwert des italienischen Innenministeriums für den Betrag, der den Aufnahmezentren pro Asylbewerber und Tag zur Verfügung steht. In der Summe ist ein Taschengeld von täglich 2,50 Euro und eine SIM-Karte für 5 Euro monatlich inbegriffen. Nicht eingeschlossen sind dagegen die Kosten für Sprach- oder Integrationskurse oder psychologischen Beistand für traumatisierte Kriegsflüchtlinge. Ebenfalls nicht inbegriffen in dem Betrag sind die Aufwendungen der Asylbehörden, Gerichte und die Kosten der Anwälte, auf die Gesuchsteller ein Anrecht haben. 945 Euro: So viel kostet die Grundversorgung (Essen, Unterkunft, medizinische Versorgung, Taschengeld) pro Monat und Asylbewerber. Das sind rund 200 Euro mehr, als der italienische Staat für Langzeitarbeitslose aufwendet: Das staatliche Grundeinkommen liegt bei maximal 750 Euro. In den staatlichen und kommunalen Asylzentren sind landesweit derzeit rund 150.000 Personen untergebracht – multipliziert mit 31,50 ergibt Kosten von 4,7 Millionen Euro pro Tag (1,72 Milliarden Euro pro Jahr). Die Aufenthaltsdauer in den Zentren variiert stark, übersteigt aber nur selten drei Jahre. (Dominik Straub, Rom)

Spanien: Die stille Welle

Asyl in Spanien? Das war lange Zeit kein großes Thema. 2014 beantragten 5.615 Menschen in Spanien Schutz vor Verfolgung, das waren weniger als 1 Prozent aller Asylanträge in der EU. Die Zahl stieg in mehreren Sprüngen, im vergangenen Jahr waren es dann knapp 118.000 Bewerber: gut 12 Prozent aller EU-Anträge. Nur in Deutschland und Frankreich gab es mehr. Den meisten Spaniern dürfte diese Entwicklung nicht bewusst sein, was an der Herkunft der Antragsteller liegen mag: Sie kommen in ihrer großen Masse aus Lateinamerika, an erster Stelle aus Venezuela (knapp 39 Prozent), aus Kolumbien (knapp 31 Prozent) und aus Peru (knapp 8 Prozent). Schon wegen der gemeinsamen Sprache werden sie hier als Brüdervölker und ihre Integration als unproblematisch empfunden.

Italien ist mit Abstand das Land, das die meisten Migranten von Nordafrika aus ansteuern. In Spanien wird die Migration aus dem afrikanisch-arabisch-muslimischen Raum kritisch gesehen.
Italien ist mit Abstand das Land, das die meisten Migranten von Nordafrika aus ansteuern. In Spanien wird die Migration aus dem afrikanisch-arabisch-muslimischen Raum kritisch gesehen.

Anders sieht es mit den Bootsmigranten (vor allem auf den Kanarischen Inseln) und den Zaunspringern in Ceuta und Melilla aus: Die auffällige Art ihrer Ankunft und ihre Herkunft aus fremden, zum allergrößten Teil afrikanischen Kulturen fördern unter vielen Spaniern ein Gefühl von Sorge bis Ablehnung. Ihre Zahl hat in den vergangenen Jahren stark geschwankt: von einem ersten Höhepunkt 2006 (gut 39.000) über einen vorübergehenden Tiefststand 2013 (gut 3.200) auf mehr als 57.000 im Jahr 2018. Dieser bisherigen Höchstzahl dürfte sich Spanien auch dieses Jahr nähern; bis Ende Oktober kamen bisher gut 44.000 Menschen illegal per Boot oder über die Zäune der beiden nordafrikanischen Exklaven ins Land.

Wer es einmal ins Land geschafft hat, kann damit rechnen zu bleiben. Die Zahl der Rückführungen in die Herkunftsländer ist vergleichsweise gering. 2021 (das ist die letzte verfügbare Zahl) waren es 3594. Viele der nicht abgewiesenen Immigranten machen sich auf den Weg über die Pyrenäen nach Frankreich und in andere EU-Länder. (Martin Dahms, Madrid)

Österreich: Alarmistische Rhetorik

Migration und Asyl ist ein emotional hoch aufgeladenes Thema in Österreich. Das hat vor allem innenpolitische Gründe: Ein Rennen zwischen den konservativen ÖVP und der FPÖ am rechten Rand um die härteste Linie. Nicht zuletzt ist Österreich aber auch was die geografische Lage angeht exponiert: Ungarn führt so gut wie keine Asylverfahren durch, den Erstantrag im Schengen-Raum stellen Flüchtlinge demnach oft in Österreich, um die Abweisung an der Grenze zu vermeiden, reisen dann aber weiter, ohne die Entscheidung des Verfahrens abzuwarten. Dadurch ergibt sich eine hohe Differenz zwischen Antragszahlen und tatsächlich bis zu Ende geführten Verfahren. Das lässt viel Raum für Polemik und alarmistische Rhetorik. Und die wiederum hat Folgen: Laut einer Studie der „Alliance of Democracies“ halten im Schnitt 19 Prozent der EU-Bürger die Reduktion von Migration für das wichtigste politische Thema. In Österreich sind es sage und schreibe 34 Prozent – der höchste Wert in Europa.

Ungarn versteht sich als Transitland. Und wenn es sein muss – beziehungsweise lukrativ erscheint: Als Land mit einer Schengen-Außengrenze.

Dabei sind die Zahlen an sich rückläufig. Durch das Jahr 2023 gab sich durchwegs ein Rückgang der Anträge zum Vorjahr von zwischen 30 bis 50 Prozent. Das Innenministerium rühmt sich dafür selbst. Eigentlicher Grund dafür dürfte aber vor allem eine Verlagerung der Reiseroute an Österreich vorbei sein.

In absoluten Zahlen bedeutet das: Inklusive September stellten in diesem Jahr 43.748 einen Asylantrag. 40.849 Verfahren waren Ende September noch offen. Ab dem Antrag auf Asyl und der Zulassung des Verfahrens sind Menschen in Österreich in der Grundversorgung, in der eine Basisversorgung vom Staat gewährleistet wird. Personen in der Grundversorgung erhalten zudem ein Taschengeld von 40 Euro pro Monat. In der Grundversorgung befinden sich aktuell rund 37.500 Personen. (Stefan Schocher, Wien)

Dänemark: Maßnahmen wirken

Dänemark steht seit mehreren Jahren für eine äußerst restriktive Migrationspolitik. Und sie wurde auch nicht verändert, als die dänischen Sozialdemokraten Mitte 2019 die Regierungsmacht übernahmen. Führte Ministerpräsidentin Mette Frederiksen zunächst eine Minderheitsregierung, hat sie nach den Wahlen Ende 2022 eine Koalition mit der liberalen Partei und den Konservativen gebildet. Geändert hat das nichts an der harten Migrationspolitik. Im Gegenteil.

Unter der Sozialdemokratin Frederiksen wurden die Asylgesetze sogar weiter verschärft. Man dachte sogar darüber nach, ein Asylzentrum in Ruanda zu eröffnen. Der Plan ist mittlerweile ad acta gelegt worden.

Es müssten die Anreize für gefährliche Reisen nach Europa beseitigt werden, erklärte Frederiksen wiederholt. In ihrem Land ist das bereits geschehen. So wurde die Familienzusammenführung deutlich verschärft. Um eine dauerhafte Aufenthaltsgenehmigung zu erhalten, muss ein Sprachtest bestanden werden. Auch die finanzielle Unterstützung kürzte die Regierung. So erhält ein Flüchtling nur noch umgerechnet rund 326 Euro. Die Maßnahmen haben dazu geführt, dass erheblich weniger Flüchtlinge ins Land gekommen sind. Im vergangenen Jahr waren es nur noch 2.216 Asylanträge, die die Einwanderungsbehörde registriert hat. 2017 waren noch fast dreimal so viele. Das macht sich auch in der Statistik des Einwanderungsministeriums in Kopenhagen bemerkbar: Lag Dänemark noch 2015 auf Platz 9 der europäischen Länder mit den meisten Asylsuchenden, kam es 2022 nur noch auf Platz 19. (Helmut Steuer)

Schweden: Keine 200 Euro im Monat

Die seit vergangenem Jahr amtierende bürgerliche Regierung unter Ulf Kristersson ist auf die Unterstützung der rechtspopulistischen Schwedendemokraten angewiesen. Und das wird direkt spürbar an der neuen Migrationspolitik. So hat das Land die Regeln für Familienzusammenführungen verschärft.

Darüber hinaus sollen Kenntnisse über die schwedische Gesellschaft getestet werden. Außerdem versucht das Außenministerium mit Kampagnen in den Ländern, aus denen die meisten Flüchtlinge kommen, von einer Reise nach Schweden abzuraten. So wird beispielsweise über die relativ niedrigen Sozialleistungen berichtet. In Schweden erhält ein Flüchtling umgerechnet nur 195 Euro im Monat.

Im vergangenen Jahr beantragten rund 16.800 Menschen Asyl in Schweden. 2015 auf dem Höhepunkt der Flüchtlingskrise waren es knapp 163.000 Menschen. Dass Nordeuropa den Flüchtlingsstrom begrenzen will, zeigte sich auch Anfang Oktober. Die nordeuropäischen Länder einigten sich in Kopenhagen auf eine engere Kooperation bei der Abschiebung von abgewiesenen Asylbewerbern. (Helmut Steuer, Stockholm)

Polen: Spitzenreiter bei den Artbeits-Visa

Obwohl die mittlerweile abgewählte nationalpopulistische Regierung in Polen unter Mateusz Morawiecki immer wieder öffentlich Stimmung gegen muslimische Arbeitsmigranten machte, hat sie in den letzten Jahren hunderttausende Schengen-Arbeits-Visa vergeben. So viele wie kein anderes EU-Land. Da es in der Vergangenheit so leicht war, legal nach Polen einzureisen, stellten nur wenige Menschen einen Asylantrag. 2022 waren es nach Angaben der polnischen Ausländerbehörde knapp 10.000 Personen, darunter 600 Iraker und 4.000 Afghanen. Gut die Hälfte aller Asylbewerber erhielt einen positiven Bescheid und konnte in Polen bleiben.

Die Kosten für Sozialleistungen, Unterkunft in Asylbewerberheimen, Polnisch-Unterricht und medizinische Versorgung, die der polnische Staat für Asylbewerber aufbringt, die noch auf ihren Bescheid warten, belaufen sich auf rund 100 Millionen Zloty (knapp 25 Millionen Euro) im Jahr. Ähnlich wie in anderen EU-Ländern dürfen Asylbewerber während der gesamten Prüfungs-Prozedur nicht arbeiten, dürfen also nicht selbst für ihren Lebensunterhalt aufkommen. Obwohl die Prüfungsprozedur nur wenige Monate dauern soll, zieht sie sich oft jahrelang hin, da das polnische Recht einen Widerspruch gegen einen negativen Bescheid vorsieht, der mitunter durch alle drei Instanzen läuft. Der polnische Staat trägt in dieser Zeit nicht nur alle Gerichts-, sondern auch alle Unterhaltskosten.

Am teuersten für den Staat ist mit rund 15 Millionen Zloty jährlich der Betrieb von zehn Asylbewerberheimen für rund 2.000 Personen, die Geldleistungen in Höhe von 14 Millionen Zloty jährlich und die medizinische Versorgung der Geflüchteten mit knapp 11 Millionen Zloty. (Zahlen aus dem Jahr 2020). Da die staatlichen Geldleistungen das Existenzminimum nicht abdecken, arbeiten die meisten Asylbewerber auf dem Schwarzmarkt. Die Behörden drücken zumeist beide Augen zu. (Gabriele Lesser, Warschau)

Ungarn: Mehr Ungemütlichkeit wagen

Ungarn versteht sich als Transitland. Und wenn es sein muss – beziehungsweise lukrativ erscheint: Als Land mit einer Schengen-Außengrenze. Aber wenn es ums Bleiben geht, um die Abwicklung von Verfahren, um Asyl oder gar Integration, so lautet die Botschaft der Orban-Regierung: nicht in Ungarn. Und so wirken die Zahlen Ungarns, als würden drei Nullen fehlen. Im Jahr 2022 haben in Ungarn satte 46 Personen um Asyl angesucht – die meisten aus Afghanistan. Acht Personen wurde der Status im Jahr 2022 verweigert, fünf Verfahren wurden eingestellt, zehn Personen erhielten einen Asyl-Status, 20 einen als subsidiär Schutzbedürftige. Das häufigste Herkunftsland: Afghanistan.

Allerdings macht Ungarn auch so ziemlich alles, um Zuwanderern ein Bleiben oder einen Neuanfang in Westeuropa denkbar ungemütlich zu machen. Dabei hatte das Land 2014 eine zwar harte, aber immerhin klare Migrationsstrategie entworfen. So gab es etwa klar vorgegebene Integrationsziele binnen zwei Jahren.

Allerdings wurde das Vorhaben in drei Schritten abgeändert. 2016 wurde zunächst das Prinzip des „Integrationsvertrages“ gekippt. 2017 wurden sogenannte „Transitzonen“ geschaffen – im Grunde Lager, in denen Asylsuchende bis zum Ende ihres Verfahrens festgehalten werden. 2020 wurde schließlich auch das Lagersystem gekippt – womit Personen, die tatsächlich einen Antrag stellen, alle Lebenserhaltungskosten selber tragen müssen. Eine Arbeitsgenehmigung haben Asylwerber nämlich nicht. Eine solche gibt es erst, wenn eine Aufenthaltserlaubnis erteilt wird. Zivilgesellschaftliche Organisationen in der Flüchtlingsarbeit wiederum werden in keiner Weise vom Staat gefördert.