Kontinuität der Härte 

Asylpolitik Experten kritisieren die „Direction de l’immigration“

Stefan Kunzmann, tageblatt 1. Dezember 2023
Die Luxemburger Asylpolitik, in der neuen Regierung dem Innenministerium zugeordnet, soll verschärft werden. Sie obliegt der „Direction de l’immigration“. Diese steht in einer langen repressiven Tradition. 
Behördengänge mögen die wenigsten Menschen. Für Deniz* sind sie noch heute ein Horror. Er denkt nicht gerne an die Zeit, als er zur „Direction de l’immigration“ gehen musste, um seinen Asylantrag in Luxemburg zu stellen. „Schon das Warten war schlimm“, sagt der Afghane, der Mitte 20 ist und vor gut acht Jahren hierherkam. „Bevor ich einen Termin bei dem Amt hatte, konnte ich die Nacht über nicht schlafen. Und auch später träumte ich immer wieder davon. Der Beamte, mit dem ich zu tun hatte, gab mir schnell zu verstehen, dass er mich nicht mochte und mir auch nicht glaubte. Dabei war alles, was ich ihm sagte, wahr.“

Seine Flucht hatte Deniz durch fast zehn Länder geführt. „Schon das zog der Beamte in Zweifel“, erinnert er sich. „Ich hatte den Eindruck, dass er mich für schuldig hielt, für kriminell, als hätte ich jemanden betrogen. Irgendetwas musste ich verbrochen haben. Dabei war ich nur aus meinem Land und dem meiner Familie geflohen, denen ich meine Flucht nicht angekündigt hatte.“ Deniz berichtet von ärztlichen Untersuchungen, die er über sich ergehen lassen musste, damit sein Alter bestätigt werden konnte. Schließlich war er ein sogenannter unbegleiteter Minderjähriger. Diese Jugendlichen genießen im Asylverfahren Priorität und können nicht abgeschoben werden.
Ein Vorteil, den Driss* nicht hatte, weil er bei seiner Ankunft schon viel älter war. Er verbrachte sein halbes Leben in einem Flüchtlingslager im Süden Algeriens und musste aus politischen Gründen von dort fliehen. „Eine Gruppe von Leuten suchte nach mir. Sie wollten mich umbringen“, erzählt er. Er gelangte über Marokko mit einem Boot nach Spanien. Einige Zeit verbrachte er in Andalusien und arbeitete in einer Orangenplantage. „Ich wollte und konnte dort nicht bleiben“, sagt er. „Denn langfristig betrachtet hatte ich keine Perspektive. Außerdem saß tief in mir immer noch die Angst. Dieses ständige Leben auf der Flucht …“ Seine genaue Herkunft will er nicht preisgeben. Er ist staatenlos. „Die Wahrheit“, betont auch er und hebt die Hand zum Schwur.
Die „Wahrheit“, von der Driss spricht, ist eine, die das Immigrationsbüro nicht akzeptieren wollte. Driss, so nennt er sich. Sein Antrag auf internationalen Schutz wurde wiederholt abgelehnt. Kürzlich hat ihm die Behörde wieder einen Negativbescheid zugesandt. Auch wurde ihm das Geld gestrichen. Mit dem er sich über Wasser hielt. Zumeist ernährt er sich von Gelegenheitsjobs.
Sein Einspruch habe nichts bewirkt, sagt er. Schon dreimal kündigte die Behörde an, dass sie ihn abschieben werde. Doch wohin? Nach Kriterien des Dubliner Abkommens müsste er zurück nach Spanien, wo er zum ersten Mal den Boden der Europäischen Union betrat. Doch er will in Luxemburg bleiben und hier eine Ausbildung machen. Er hatte das Großherzogtum ausgesucht, weil er nur Gutes gehört hat und dass die Asylprozeduren zügig vorangingen. Das Gegenteil ist der Fall. Die Verfahren ziehen sich in die Länge und einige der überlaufenen Unterkünfte sind in einem erbärmlichen Zustand, sodass einige der Schutzsuchenden das Land wieder verließen.

„Es war wie ein Polizeiverhör“

„Die zuständige Person in der Einwanderungsbehörde sagte zu mir, dass ich hier nicht bleiben kann“, berichtet Driss. „Ich solle zurück in mein Land. Ich hätte hier nichts zu suchen. Man unterschlug mir Informationen. Und wenn man mich nach Details über meine Flucht fragte, war die Befragung wie ein polizeiliches Verhör. Davon hatte ich schon genug erlebt.“ Asylbewerber werden mittlerweile darauf hingewiesen, dass sie kein Recht mehr auf eine Unterkunft haben. Im Laufe des Jahres wurden mehrere Flüchtlinge obdachlos.
Dies betrifft allein reisende Männer, die unter das Dublin-Abkommen fallen, weil sie bereits in einem anderen Land einen Asylantrag gestellt hatten. Leute wie Driss. Sie landen auf einer Warteliste des „Office national de l’accueil“ (ONA). Es handelt sich dabei um eine kürzlich getroffene Maßnahme, gegen die mehrere Luxemburger Nichtregierungsorganisationen vorgehen wollen, die aber die neue CSV-DP-Regierung nicht zurückziehen will, hieß es aus dem Familienministerium. Letzteres ist seit dem Regierungswechsel wieder für die ONA zuständig, nachdem das Office einige Jahre im Immigrationsministerium angesiedelt war. Vorher ließ man Geflüchtete, denen Asyl gewährt worden war, in Asylunterkünften wohnen. Allerdings mussten sie dafür bezahlen. So wie Tesfu:
Der 32-jährige Eritreer, seit 2018 in Luxemburg, stand auf der Straße, bevor er eine Bleibe in dem WG-Projekt der NGO „Life“ fand, während seine Frau mit den Kindern, die als Familiennachzügler nach einer langen Odyssee über Uganda ins Land kamen, noch in der Flüchtlingsunterkunft leben.
„Die Leute werden verklagt, wenn sie ihre Miete nicht bezahlen können“, weiß Gilbert Pregno, Präsident der konsultativen Menschenrechtskommission. Er kennt die harte Gangart der „Direction de l’immigration“. Obwohl er nicht pauschal über die Arbeit der Beamten urteilen wolle, stellt er fest: „Der menschliche Aspekt kommt nicht genügend zum Tragen. Das ist nicht neu.“ In der Tat hat die Behörde, obwohl sie in den vergangenen 20 Jahren unterschiedlichen Ministerien unterstellt war – zuerst dem Justizministerium, dann dem Außen- und Immigrationsministerium, mittlerweile dem Innenministerium – und etliche Minister als politisch Verantwortliche hatte, eine gewisse Kontinuität und Tradition bewahrt. Und diese ist vornehmlich konservativ und den Asylbewerbern nicht primär wohlgesonnen.

Strammer, rechter Wind

Unter dem damaligen Justizminister Luc Frieden (CSV) regierte im Herbst und Winter 2002/03 bei eisigen Temperaturen die harte Hand in der „Direction de l’immigration“. Zudem grassierte gut ein Jahr nach 9/11 noch die Furcht vor Terrorattacken, eine regelrechte Paranoia. Als damals die ersten 23 abgelehnten Asylbewerber Mitte November 2002 abgeschoben wurden, war dies nach den Worten des damaligen Ressortleiters der Beginn einer ganzen Serie von Zwangsrückführungen. In den Räumen der Hilfsorganisation ASTI drängelten sich die betroffenen Flüchtlinge vor allem aus dem Balkan, um Weiteres zu besprechen. Gut sechs Jahre später demonstrierte eine Gruppe von Asylbewerbern und Sympathisanten sowie Menschenrechtler gegen die Abschiebung von mehreren abgelehnten Asylbewerbern nach Nigeria. Damals war die Einwanderungsbehörde dem beigeordneten Immigrationsminister Nicolas Schmit unterstellt – und Außenminister Jean Asselborn (beide LSAP). Die Führung der Behörde – Sylvain Wagner und später Jean-Paul Reiter – stammte noch aus Friedens Zeit. Nach wie vor wehte dort ein strammer, rechter Wind. „Hart und halbherzig“, schrieb die woxx an Weihnachten 2004.

„Kultur des Verdachts“

Als er noch Direktor des „Centre de rétention“ war, einer Auffangeinrichtung für abgelehnte Asylbewerber auf Findel, sei er oft bei Sitzungen der Behörde gewesen, erinnert sich Fari Khabirpour. „Unter Schmit hatte sich an der Asylpolitik im Vergleich zu seinem Vorgänger nichts geändert. Sie ging in dieselbe Richtung wie unter Frieden. Im Amt von Sylvain Wagner herrschte eine ziemlich ausländerfeindliche Stimmung.“ Khabirpour stellt Kontinuitäten in der Behörde fest, die heute dem Innenminister Léon Gloden (CSV) unterstellt ist. „Ich habe keine positiven Veränderungen festgestellt in der Art und Weise, wie die Asylbewerber behandelt wurden. Es hat sich eher verschlimmert.“ Es wird zunehmend eine Politik nach dem Motto „das Boot ist voll“.
Pregno beschreibt eine „Kultur des Verdachts“. Das zeige sich im Umgang mit unbegleiteten Minderjährigen, so der Kinder- und Jugendpsychologe. „Man lehnte zum Beispiel die Zusammenführung von Familien, also den Nachzug der Eltern ab, und sagte zum Beispiel, sie bräuchten keine Eltern, weil im Lande ein Mitglied ihrer Familie lebte und den sie gegebenenfalls nicht kannten. Bekamen sie den Nachzug von einem Gericht erlaubt, ging die Direction in Berufung.“ Asselborn habe als Immigrationsminister einen schweren Stand gehabt, konstatiert Pregno, obwohl er nach eigenen Worten die Verdienste des Ministers für viele Flüchtlinge nicht schmälern möchte. In der Behörde selbst habe „eine gewisse Härte“ geherrscht. „Das war weit entfernt von einem menschenwürdigen Umgang mit Menschen, die sich in einer schwierigen Lage befinden.“
Khabirpour kritisiert: „Die Beamten der Verwaltung haben keine geeignete Ausbildung, um mit Flüchtlingen zu arbeiten. Einige von ihnen leisten sicherlich gute Arbeit. Die meisten wissen jedoch nicht, wie mit diesen Menschen umzugehen ist. Sie behandeln sie wie Nummern und haben eine negative Einstellung zu ihnen. Und ihnen fehlt es an Fingerspitzengefühl.“ Gefragt wäre Fachpersonal mit Kenntnissen über andere Kulturen. „Was ihre Ausbildung angeht“, sagt Pregno, „besteht noch viel Luft nach oben. Die Flüchtlinge sollten etwa befragt werden, ob sie Opfer von Menschenhändlern wurden, eingesperrt waren oder ob sie Gewalt erfahren haben.“ Nichts von alldem geschehe.
„Stattdessen wird ihnen das Smartphone weggenommen und nach Informationen gesucht, die im Widerspruch zu dem stehen, was ihnen der Asylbewerber erzählt hat“, berichtet Khabirpour. „Sobald die Beamten etwas finden, gehen sie davon aus, dass der Antragsteller lügt. Dabei habe ich immer gesagt, sie sollten ihre Einstellung zu den Menschen ändern. Sie müssten sich in die Lage der Menschen hineinversetzen und lernen, wie deren Körpersprache ist. Es heißt oft, dass die Verhörten den Beamten nicht in die Augen schauen. Viele kommen aber aus autoritären Staaten, die von repressiven Regimen beherrscht werden. Niemand traut sich dort, einem Beamten in die Augen zu schauen.“ So herrscht zwangsläufig eine Kultur des Verdachts. Oder wie es – im Kontext der Europäischen Union – der Paradigmenwechsel einer härteren Asylpolitik zu sein scheint: eine Sicherheitskultur statt einer humanitären Kultur.

* Name von der Redaktion geändert
Ich habe keine positiven Veränderungen festgestellt in der Art und Weise, wie die Asylbewerber behandelt wurden. Es hat sich eher verschlimmert.
Fari Khabirpour
„Das Zuhause ist, wo das Herz ist“ – Kinderzeichnungen anlässlich eines interkulturellen Malprojekts 2018 im Foyer Don Bosco
Fari Khabirpour